Teorema (Oktober 1997)
Es ist ein Delphin … Es ist ein Vogel … Nein, es ist ist Fin Fin, das erste „glaubwürdige Geschöpf“ aus den Fujitsu Laboratories.
Rechtzeitig zur IFA ’97 stellte Fujitsu die deutsche Version seiner „interaktiven Erlebnis-Software“ vor. „Fin Fin, Dein Freund vom Zauberplaneten Teo“ ist das erste vermarktbare Produkt des seit 1989 laufen Oz-Projekts, in dem die Fujitsu Laboratories in San Francisco gemeinsam mit Wissenschaftlern der Carnegie-Mellon-University Künstliches Leben erforschen. Ziel des Projektes ist die Entwicklung von „Believable Agents“ – virtuellen Wesen, die sich in der Interaktion mit einem menschlichen Partner so verhalten, als besäßen sie Intelligenz und Gefühle. Nachdem erste Ergebnisse des Oz-Projekts als Kunstwerke präsentiert wurden, soll sich nun mit Fin Fin eine neue Generation von Computerspielen ankündigen.
Fin Fin erscheint wie ein Baby-Delphin mit den Füßen eines Vogels; er kann schwimmen und tauchen, aber auch wie ein Vogel fliegen. Mit einer Reihe anderer Wesen, die ebenfalls wie Kreuzungen verschiedener irdischer Tierarten wirken, bewohnt er den Zauberplaneten Teo. Die virtuelle Welt ist der irdischen nicht unähnlich: Tag und Nacht wechseln sich wie die Jahreszeiten im vertrauten Rhythmus ab, und trotz der exoterrestrischen Flora und Fauna erinnert das Ambiente stark an einen tropischen Regenwald auf der Erde. Wenn Fin Fin nicht gerade schläft, kann der Spieler ihn an einem der drei Orte treffen, die bislang von der Software modelliert sind. Drei weitere Orte auf Teo bleiben dem Spieler verschlossen; so verschwindet Fin Fin zuweilen in seinem Nest, in dem auch ein weiblicher, extrem scheuer Fin Fin leben soll — dabei traut man der so penetrant auf Kindchenschema getrimmten Kreatur gar kein Eheleben zu.
Für die Kommunikation mit Fin Fin hat Fujitsu ein spezielles Mikrofon beigelegt, das sich an die Soundkarte des PC anschließen lässt. Durch sanftes Ansprechen, Singen oder Pfeifen (eine Fin-Fin-Lockpfeife liegt bei; ihr Ton kann aber auch über die Tastatur simuliert werden) kann man seine Aufmerksamkeit wecken, und mit etwas Geduld wird man erleben, wie Fin Fin immer näher kommt, und dem Spieler schließlich aus der Hand frißt. Der optional einblendbare „Bio Scan“ gibt über Fin Fins Zustand – Fröhlichkeit, Angst, Hunger, Durst usw. – Aufschluss, und hilft, das jeweils Richtige zu tun. In der Interaktion per Mikrofon – die Software vermag Lautstärke und Tonhöhen zu unterscheiden – erschöpfen sich auch schon die Kommunikationsmöglichkeiten mit dem künstlichen Geschöpf. An Orten wie der „Geheimen Bucht“ ist der Spieler zudem angehalten, Fin Fin lediglich zu beobachten, da er dort nicht gestört werden möchte.
Fin Fins Ausdrucksspektrum ist einerseits beachtlich — seine Mimik ist weit abwechlungsreicher als die der „Creatures“, denen nur eine Handvoll unterschiedlicher Gesichtsausdrücke zur Wahl stehen, und durch die Animation von 40.000 Polygonen entstehen flüssige Bewegungsabläufe, die Fin Fin als dreidimensionales Wesen tatsächlich glaubwürdig machen. Andererseits bleibt sein kommunikatives Verhalten unverbindlich: Fin Fin blickt versonnen, streckt sich, gähnt, kratzt sich unter den Flügeln, singt, vollführt Kunststückchen in der Luft und im Wasser – das gibt eine prächtige Projektionsfläche für Stimmungen und Gefühle ab, aber wieviel wirklich in seinem Köpfchen vorgeht, bleibt offen.
So viel künstlicher Intelligenz bedarf es auch gar nicht, denn Fujitsu nutzt geschickt menschliche Urinstinkte aus. Ein Neugeborenes fragt sich schließlich nicht, ob es unter vernunftbegabte Lebensformen geraten ist, sondern hält sich an das erstbeste freundliche Gesicht, mit nicht viel mehr Diskriminationsvermögen als Konrad Lorenz’ Graugänse. Gegenüber Puppen und Teddybären setzt das Kind halb spielerisch die unterschiedslose Beseelung seiner Umgebung fort, überzieht auch die unbelebte Welt mit seinem Beschützerinstinkt, wie es selbst dort Schutz sucht. So ganz legen wir diese Haltung nie ab, und deshalb genügt das grobgepixelte Tamagotchi-Display, um Pflegebedürfnisse der Kleinen wie der Großen zu aktivieren – ein klägliches Piepsen kann das schlechte Gewissen wecken, das Plastikei vernachlässigt zu haben. Nachdem sich die Interaktivität von Teddybären darin erschöpft, zu brummen, wenn man sie drückt, kann dieses Phänomen nicht verwundern. Fin Fin, dessen Verhaltensrepertoire den Vergleich mit manchen echten Tieren aushält, hat viel mehr zu bieten, und „oberniedlich“ (Kindermund) ist er noch dazu. Auch Erwachsene können sich seinem Charme kaum entziehen, sind allenfalls früher als die Kleinen gelangweilt.
Nun ist es keine neue Erkenntnis, dass die Welt eines Computerspiels mehr im Kopf des Spielers als auf dem Bildschirm entsteht; solche Projektionen sind nicht einmal spezifisch für Computerspiele. Fujitsus Spiel schafft es jedoch, dem Spieler Pflichten gegenüber dem putzigen Wesen zu suggerieren: Fin Fin verlangt regelmäßige Aufmerksamkeit, registriert die Zeit, in der man sich nicht mit ihm beschäftigt hat, und reagiert entsprechend kühl auf Vernachlässigung. Teddybären waren nie so nachtragend. Erwirbt der Spieler gar die erweiterte Variante von Fin Fin, die einen an den PC anzuschließenden Anwesenheitsmelder beinhaltet, so gibt es keine Ausflucht mehr, seine Zeit nicht ungeteilt dem kleinen Monster zu widmen.
Fujitsu besetzt das positiv: Die Beschäftigung mit Fin Fin würde Geduld und Verantwortungsbewusstsein lehren. Das mag sein. Für den Spieler wird dennoch der Moment kommen, an dem er das falsche Pflichtgefühl abschüttelt und Fin Fin einfach abschaltet. Tamagotchis mögen primitiv sein, aber wenigstens leben die digitalen Plagegeister nicht ewig – das Kind wird sich früher oder später mit ihrem „Tod“ auseinandersetzen müssen. Fin Fin hingegen altert weder, noch wird er je sterben, und nicht jeder mag das beruhigend finden. mjh
(Eine gekürzte Fassung dieses Textes erschien unter dem Titel „Ware Freundschaft“ in der Screen Multimedia 12/1997)